Wir
schreiben das Jahr 1969. 2,8 Millionen Deutsche rauchen Pfeife. 6000
Tonnen (!) Pfeifentabak gehen allein in der Bundesrepublik jährlich
in wohlriechendem Rauch auf. Das Pfeifen-Image erfährt einen
erstaunlichen Wandel. Weg vom Oberförster, der in seinen
Gesteckpfeifen den 50-Pfennig-Knaster verglimmt, hin zum modischen,
intellektuellen, zuverlässigen Mann von Welt. Herbert Wehner, Hans
Joachim Kulenkampff ("Kuli"), Rudolf August Oetker -
Deutschland hat seine Pfeifenhelden und der deutschen Frau gilt der
Pfeifenraucher als " ruhig, gepflegt, häuslich und gemütlich".
In
diesem Jahr wird auch der Lincoln „Mellow Mixture“ geboren. Seine
Wiege steht bei der Firma Brinkmann und dort ist man stolz auf den
Zögling und gibt ihm einen englischen Namen. Ganz der damaligen Mode
geschuldet, in der englisch gleichbedeutend war mit weltmännischer
Qualität. Trocknen wir unsere nostalgischen Tränen im Angesicht
solch' glorreicher Zeiten und stopfen uns ein entspannendes und
mildes Pfeifchen. Vielleicht mit Lincoln „Mellow Mixture“... den
gibt es nämlich immer noch! Ok, haken wir kurz das Gejammer der
ewigen Kritiker ab. Früher war der Lincoln viel besser, früher
schmeckte er noch weicher, früher.... so, nun ist aber gut! Denn
hier interessiert, wie der Lincoln „Mellow Mixture“ heute
schmeckt und ob er sich im Umfeld moderner Massenkräuter behaupten
kann.
Beim
Öffnen des Pouches kommt einem der bekannte, vanillige Duft
entgegen. Etwas Obst (Kirsche?) lässt sich auch im fein
geschnittenen Ribbon-Cut erahnen. Wie seit Jahr und Tag gewohnt,
also. Tabak? Doch, ja... er ist zu erschnuppern. Ein wenig Heu vom
Virginia, ein wenig Nuss vom Burley... und da ist ja noch der, heute
in solchen Tabaken eher unübliche, Orient-Anteil. Erfrischend, dass
beim Lincoln bis heute auf die sonst gern verwendeten Massen an
schwarzer, aromageschwängerter Rauchpappe in Form von Black
Cavendish verzichtet wird. Man verzeihe mir, dass ich diesem tot
fermentierten Aroma-Transporter nicht viel abgewinnen kann. Der Black
Cavendish hat in den Reihen moderner Hocharomaten für eine
erschreckende Phantasielosigkeit gesorgt und dafür, dass sich viele
Aromen spätestens zur Hälfte der Füllung verflüchtigen. Zurück
bleibt dann meist ein fades Rauchvergnügen. Nicht so beim
mittlerweile von der STG vertriebenen Lincoln. Etwas aufgerieben und
durch passende Feuchtigkeit problemlos gestopft, verteilt er sein
Aroma über beinahe die gesamte Rauchdauer.
Dabei
ist das "mild und lieblich" aus dem Tabaknamen absolut
Programm. Er entwickelt die Süße, die man in manchen
Lebenssituationen einfach braucht, ohne zuckrig zu wirken. Weich,
ohne Spitzen oder Aromalöcher... darf man einen Tabak freundlich
nennen? Selbst etwas zu warm geraucht bleibt dem Lincoln Bissigkeit
fremd, er wird nur intensiver. Sein Glimmverhalten ist sehr gut und
er fühlt sich in mittleren bis großen Köpfen besonders wohl. Das
Plakative ist nicht seine Welt, er will, glaube ich, gar nicht heraus
stechen oder mit schillernden Farben die Aufmerksamkeit auf sich
ziehen. Er will ein problemloser, angenehmer Begleiter für beinahe
jede Pfeifensituation sein - und das gelingt ihm prächtig.
Ältere
Pfeifenfreunde erkennen diesen Geschmack wieder. Der typisch
lieblich-milde Vertreter einer beinahe vergessenen
"Aromaten"-Fraktion. Viele der Nachbarn, die früher neben
dem Lincoln im Tabakregal standen, sind längst Geschichte. Die Royal
Niemeyers, die Kiepenkerls, die Exoten von Radfords... Ja, es ist ein
Gutteil Nostalgie... aber nicht nur. Denn auch der aktuelle Lincoln
„Mellow Mixture“ behauptet sich problemlos zwischen all' den
Dutzend-Kräutern der Danske Club- oder Stanwell-Familie.
Entspannt,
mild, weich, süß, problemlos - der heutige Alltag weist mehr als
genug Situationen auf, in denen solch' ein Tabak Balsam für die
Seele ist. Entdecken Sie ihn... wieder oder erstmalig. Es lohnt sich.
Heute war ich für Sie "der Mann, der Lincoln raucht".
Ihr
Ralligruftie
Autor:
Ralf Dings